· 

Meine erste Reise zum Jakobsweg

Mittwoch, 1. September 2021:

Es ist 04:30 Uhr. Ich habe ohnehin kaum geschlafen und muss nun auch noch mitten in der Nacht aufstehen.

Meine Tasche steht fertig gepackt im Flur. Ich frühstücke und schmiere mir Brote für die Fahrt.

Um 05:30 Uhr werde ich von einer Mitreisenden abgeholt und wir fahren eine Stunde lang zu unserem Treffpunkt.

Da die Reise von meinem Arbeitgeber, einem großen katholischen Träger, organisiert wird, fahren wir am Haupthaus los.

 

Wir sind eine der Ersten am Treffpunkt, aber nach und nach treffen auch die anderen ein. Insgesamt sind wir 21 Frauen und Männer unterschiedlichsten Alters und Funktion innerhalb des Trägers. Ich kenne alle nur von einem kurzen Vorbereitungstreffen.

 

Als alle Taschen in den drei Kleinbussen verstaut sind, gehen wir in die hauseigene Kapelle und erhalten von unserer Reiseleiterin den Reisesegen.

Nach ein paar kurzen Informationen machen wir uns auf den Weg.

Unser Ziel heißt Prissé und liegt irgendwo in Frankreich. Es ist nicht nur meine erste Reise zum Jakobsweg, sondern auch meine erste Reise nach Frankreich.

Noch bevor wir auf der Autobahn sind, schlafe ich bereits und werde das auch den überwiegenden Teil der Fahrt tun.

Wir machen unterwegs zwei kurze Pausen und erreichen nach 8,5 Stunden Fahrt endlich unser Ziel.

Während wir uns in Deutschland noch in unsere Jacken gekuschelt haben, stehen wir nun in Tshirts in der Hitze Frankreichs.

Wer hätte gedacht, dass hier noch Hochsommer ist, während bei uns bereits der Herbst begonnen hat.

 

Das Haus, in dem wir die nächsten fünf Tage verbringen werden, ist überwältigend.

Es liegt mitten zwischen Weinbergen in einem winzigen Dorf. Man hat einen wunderschönen Ausblick über die Landschaft, aber auch das Haus selbst ist jeden Blick wert.

Es ist ein altes Familienanwesen, das nun an Reisegruppen vermietet wird.

Insgesamt gibt es 14 Schlafzimmer und einige Badezimmer auf den Fluren.

Ich teile mir das Zimmer und das Bett mit Yuliya. Da unser Zimmer direkt an der Treppe im 1. Obergeschoss liegt, beschließe ich, vorerst nicht nachzusehen wie hoch die Treppe noch nach oben führt.

 

Nachdem ich meine Tasche ins Zimmer gestellt habe, gehe ich mit unserer Reiseleiterin den Einkaufszettel durch.

Fleisch, Wurst, Käse und Eier haben wir aus Deutschland mitgebracht. Kaffee haben wir in Luxemburg an der Autobahnraststätte gekauft.

Was brauchen wir noch? Wie oft gehen wir in den nächsten fünf Tagen einkaufen? Was möchten die anderen essen?

Als wir fertig sind, fahren wir zu siebt zum nahegelegenen Supermarkt.

Dort nehmen wir drei Einkaufswagen, reißen den Einkaufszettel in drei Teile und trennen uns.

Meine Einkaufspartnerin und ich sprechen kein Wort französisch, aber das ist in einem Supermarkt nicht so wichtig. Die meisten Verpackungen sehen ähnlich aus wie in Deutschland und auch der Aufbau des Supermarktes gleicht dem eines deutschen Supermarktes. Der Laden ist jedoch erstaunlich groß und es dauert eine ganze Weile bis wir alles gefunden haben.

An der Kasse treffen wir uns wieder mit den anderen. Das war ja schon mal gar nicht so schwierig.

Die Bestellung beim Bäcker überlasse ich dann aber doch den sprachkundigeren Menschen der Gruppe.

 

Wieder am Haus angekommen laden wir die Autos aus und dann habe ich frei. Andere kümmern sich um das Abendessen und zünden den Grill an. Oder versuchen es zumindest. Tatsächlich dauert es knapp zwei Stunden, bis wir endlich etwas zu essen bekommen.

Ich nutze die Zeit um mich in die Sonne zu legen und anschließend zu schaukeln.

Ich genieße die Ruhe. Alles was ich höre ist das Zwitschern der Vögel und das Summen der Bienen.

Selbst die Stimmen der Anderen schallen nur gedämpft von der Terasse herüber.

 

Nach dem Essen sitze ich noch mit einigen anderen zusammen und spiele "6 nimmt".

Es war ein wunderschöner erster Tag und gegen 22:30 Uhr falle ich müde ins Bett.

Noch schnell den Wecker auf 06:30 Uhr stellen und dann schlafe ich auch schon.

 

 

Donnerstag, 2. September 2021:

Es ist 05:45 Uhr. Jemand stampft die Treppe vor unserem Zimmer nach unten und verschwindet im Badezimmer auf unserem Flur. Kurze Zeit später höre ich rappeln und klopfen. Es klingt immer panischer. Ich vermute, dass der Schlüssel der Badezimmertür sich nicht mehr umdrehen lässt, denn das Problem hatte ich gestern auch.

Da ich erst letzte Woche einen 1.-Hilfe-Kurs hatte, weiß ich, dass seelischer Beistand auch 1.-Hilfe ist. Ich stehe also auf und klopfe von außen an die Tür. Das rappeln endet und eine verzweifelte Stimme ruft: "Ich komme nicht mehr raus!"

Ich beruhige den Mann hinter der Tür und sage, dass er vorsichtig am Schlüssel drehen muss. Ich sage auch, dass ich das Problem ebenfalls schon hatte und ziehe vorsichtig an der Tür, die nach innen öffnet. So schaffen wir es schnell die Blockade zu lösen und der Mann kommt erleichtert aus dem Badezimmer. "Panicroom am frühen Morgen", murmelt er, immer noch leicht panisch.

 

Da ich nun sowieso nicht mehr einschlafen kann, beschließe ich, diesen Text hier zu schreiben.

 

Um 07:15 Uhr gibt es Frühstück. Die Portion Brot, die jeder bekommt, ist etwas knapp bemessen. Immerhin müssen wir uns davon auch Proviant für den ganzen Tag mitnehmen.

 

Gegen 08:15 Uhr fahren wir los zum Startpunkt unserer ersten Etappe. Als wir gerade das Ende eines Dorfes erreichen, steht plötzlich ein Mann mitten auf der Straße und sieht auf sein Smartphone. Er steht genau auf dem Strich zwischen den beiden Fahrbahnen und scheint nicht mal zu bemerken, dass sich Autos nähern. Als wir langsam an ihm vorbei gefahren sind, sieht er immer noch auf sein Smartphone und bewegt sich nicht. Wir überlegen warum er dort steht und Yuliya meint, dass er vielleicht an genau diesem Punkt das beste Internet hat. Wir anderen finden diese Erklärung am plausibelsten. Auf dem Rückweg steht er jedenfalls nicht mehr da.

 

Gegen 09:00 Uhr kommen wir am Startpunkt mitten in den Weinbergen an. Wir gehen ein Stück bis zu einer Anhöhe und beginnen dort mit einer Andacht.

Anschließend gehen wir los, wobei jeder in seinem Tempo gehen kann und es sehr entspannt ist.

Ich unterhalte mich eine Weile mit Yuliya, was wirklich großartig ist,  versuche aber die meiste Zeit alleine zu gehen.

Nach etwa 8km machen wir eine längere Pause, um unseren mitgebrachten Proviant zu essen. Als wir fertig sind, meint unser Reiseleiter, dass wir in etwa 25 Minuten weiter gehen und ich halte das für eine übertrieben lange Pause. Es sollte sich jedoch zeigen, dass das genau die richtige Pausenlänge war um danach erholt weiter zu wandern.

 

Bereits gestern Abend hatte ich den anderen das Spiel "erwischt" vorgestellt, das wir eigentlich seit dem Frühstück spielen wollten. In der Pause fragen dann einige danach und so verteile ich schließlich die Karten, die ich nach dem Frühstück nicht verteilt hatte. Ziel des Spiels ist es, die Aufgaben auf der Karte zu lösen ohne dabei von den anderen erwischt zu werden.

 

Wir brechen also nach der Pause wieder auf und nach einer Weile alleine gehen, ergibt es sich, dass ich gemeinsam mit einer anderen Teilnehmerin gehe. Vor und hinter uns ist niemand mehr zu sehen und wir führen ein wirklich gutes Gespräch.

 

Nach einer Weile bergauf und bergab erreichen wir ein kleines Dorf, wo unser Reiseleiter schon auf uns wartet, um uns zu sagen, dass wir uns an der Kirche treffen.

Wir gegen also durch diesen kleinen, alten, französischen Ort und es ist einfach wunderschön! Kleine Häuser, schmale Gassen, alles schon sichtbar alt.

An der Kirche angekommen, treffen wir einen Teil unserer Gruppe wieder und warten auf die Anderen. Erst da wird mir langsam bewusst, dass wir bereits am Ziel unserer ersten Etappe sind. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich tatsächlich einfach noch weiterlaufen können.

Insgesamt war diese erste Etappe etwa 13km lang.

 

Nachdem alle an der Kirche angekommen sind, setzen wir uns hinein und genießen einfach den Moment. 

 

Anschließend schlendern wir durch das Dorf zu einem Café. Die Reiseleiterin und ich kommen als letzte an und alle anderen haben schon bestellt. Wir setzen uns an einen freien Tisch auf der Terasse und warten auf die Kellnerin. Als sie zu uns kommt, bestellt unsere Reiseleiterin einen Kaffee, aber die Kellnerin sagt irgendetwas von Pass. Ich verstehe leider so überhaupt kein Französisch und es dauert eine Weile bis wir verstehen, dass sie unsere Impfnachweise sehen möchte. Nachdem das erledigt ist, dürfen wir bestellen.

 

Drei Leute aus unserer Gruppe fahren dann mit einem Taxi an den Startpunkt zurück um die Autos zu holen.

Wir anderen sehen uns in der Zwischenzeit das Dorf an und versuchen unsere "Erwischt"-Aufgaben zu lösen.

 

Als die drei Fahrer zurück sind, fahren wir wieder zu unserem Ferienhaus.

Das erste was ich mache, als wir wieder im Haus sind, ist duschen. Immerhin sind wir bei 30°C knapp 13km überwiegend in der Sonne gewandert. Es war etwas warm.

 

Nachdem wir uns umgezogen haben, setzen Yuliya und ich uns auf das Trampolin im Garten und reden. Es ist so ein unglaublich gutes Gespräch, dass wir völlig die Zeit vergessen.

Plötzlich gibt es auch schon Abendessen.

Wie auch gestern wurde gegrillt und es schmeckt großartig.

 

Nach dem Essen lösen wir dann unsere "Erwischt"-Karten auf und erzählen wie wir die Aufgaben gelöst haben. Wir haben definitiv eine Menge Spaß dabei und viele möchten morgen eine neue Runde spielen.

 

Nach dem Abendessen spiele ich mit drei anderen "The mind". Wir sind allerdings etwas angelenkt, da wir zwischendurch immer wieder den sternenklaren Himmel bewundern unter dem wir sitzen. Plötzlich nimmt einer der Mitspieler sein Handy und meint "Guckt mal, da ist der Saturn. Und dort ist Jupiter."

Ab da sind wir alle nur noch fasziniert. Er hat eine App auf dem Smartphone, die sämtliche Sterne und Sternbilder und alles was da noch so im All ist, anzeigt. Wirklich beeindruckend.

Selbstverständlich habe ich mir die App auch sofort heruntergeladen und werde mir nun jeden Abend die Sterne angucken.

 

Nach einem langen und erlebnisreichen Tag versuche ich nun zu schlafen, obwohl ich noch gar nicht wirklich müde bin.

 

Freitag, 3. September 2021:

Ich träume irgendetwas von Menschen, die Möbel verrücken und werde davon wach. Es ist 5:45 Uhr und die Geräusche, die ich im Traum gehört habe, sind sehr real. Im Zimmer über mir klingt es tatsächlich so als würde jemand Möbel verrücken. Wer schiebt denn bitte um 5:45 Uhr seine Möbel durchs Zimmer?

Beim Frühstück erfahre ich, dass es der gleiche Mann war, der sich gestern um 5:45 Uhr im Badezimmer eingesperrt hatte.

Er schläft immer in der Mitte des Bettes. Da aber hier zwei Betten zusammen geschoben waren, ist er dazwischen gefallen und musste nun die Betten so schieben, dass sie nicht mehr auseinander rutschen.

Ich bin schon sehr gespannt welche laute Überraschung er sich für morgen ausdenkt.

 

Deutlich müder als gestern machen wir uns um 8:30 Uhr auf den Weg zu unserem heutigen Startpunkt. Es regnet.

Einige jammern bereits, andere sind optimistisch, dass der Regen aufhört sobald wir losgehen.

Wir steigen an einem Supermarkt aus und drei Leute aus unserer Gruppe bringen zwei der drei Autos zu unserem Zwischenziel.

Als sie wieder zurück sind, gehen wir los.

 

Tatsächlich hat es inzwischen aufgehört zu regnen und spätestens nach dem ersten Anstieg haben alle ihre Jacken wieder ausgezogen.

Wir beginnen wieder auf einer kleinen Anhöhe mit einem kurzen Impuls, einem Lied und einem Segen. 

Dann sollen wir bis zum nächsten Stopp schweigend gehen.

Ich bin gestern schon die meiste Zeit schweigend gegangen, aber jetzt wo niemand mehr redet, ist es tatsächlich ein anderes Gefühl.

Ich genieße die Stille und bete.

 

Nach etwa 15 Minuten bleiben unsere Reiseleiter stehen und sammeln die Gruppe. Ab jetzt dürfen wir wieder reden und einige nutzen das lautstark.

 

Heute ist der Weg anstrengender. Meine Schuhe sind unbequem und meine Beine tun weh.

Wir wandern ca. 8km bis zu der Ruine einer Kirche. Dort machen wir Pause.

Obwohl die Kirche kein Dach mehr hat, sieht sie wunderschön aus und alle sind davon begeistert.

Nach der Pause sammeln wir uns nochmal in einem Kreis. Plötzlich spricht uns ein älteres Ehepaar an und fragt wo sie die Kirche aus dem 12. Jahrhundert finden. Sie sprechen deutsch und wir zeigen auf die Kirche hinter uns.

 

Nach der Pause geht es noch etwa 3km weiter zum nächsten Ort.

Dort stehen unsere Autos. Drei von uns sollen das dritte Auto am Startpunkt abholen und vor nach Taizè fahren. Die anderen laufen weiter.

Da sich zuerst nur eine Teilnehmerin meldet, erkläre ich mich ebenfalls bereit zu fahren.

Ehrlich gesagt bin ich sehr froh, dass ich nicht weiter laufen muss. Immerhin ist heute erst der zweite Tag und ich muss morgen noch Kraft für die letzte Etappe haben. 

 

Nachdem wir das dritte Auto geholt haben, fahren wir nach Taizé und sehen uns dort um bis die anderen eintreffen.


Als alle da sind, gehen wir in einen Raum und sehen uns einen Film über die Entstehung des Geländes an.

Danach dürfen wir uns wie alle anderen Besucher einen kalten, süßen Zitronentee holen. Der Tee wird in Plastikschüsseln serviert, aus denen ich eher Müsli gegessen hätte, als Tee zu trinken. Dazu gibt es eine Schoko-Haselnuss-Tafel.

Wir dürfen uns auf Bänke setzen, die jeweils zu viert im Karree stehen. Da die Bänke, wo die anderen aus unserer Gruppe sitzen, schon recht voll sind, setze mich in ein freies Karree.

Yuliya setzt sich mir gegenüber hin und wir genießen schweigend unseren Tee.

Kurz darauf setzt sich ein Mann in meinem Alter zu uns, den ich jedoch erst wahrnehme, als er mich anspricht. Ich vermute, dass er etwas auf deutsch gefragt hat, ich habe ihn allerdings nicht verstanden. Ich sehe ihn fragend an und er fragt auf englisch ob ich deutsch spreche. Ich bejahe das. Auf englisch.

Ja, in solchen Situationen ist mein Denkvermögen stark eingeschränkt. 

Nach dieser kurzen Verwirrung führen wir dann doch ein nettes Gespräch darüber wo wir herkommen und warum wir hier sind.

Ich versuche Yuliya ins Gespräch einzubinden, aber Fragen richtet er immer nur an mich.

Nach einiger Zeit sehe ich auf die Uhr, da ich noch zu einem Workshop möchte und er versteht diesen subtilen Hinweis scheinbar und verabschiedet sich.

Als er weg ist, grinst Yuliya und meint :"Du weißt schon, dass er auf ein Date aus war?"

Wir werden ihn am nächsten Tag noch einige Male in wechselnder weiblicher Begleitung sehen. Keine Ahnung ob er gefunden hat, wonach er suchte.


Ich suche jedenfalls Input und gehe deshalb zu einem Workshop, der von zwei Frauen angeboten wird.

Da der Workshop "Frauen in der Bibel" heißt, hoffe ich, mehr über Frauen in der Bibel zu erfahren.

Tatsächlich ist der Workshop eher enttäuschend. Die beiden betonen immer wieder wie wichtig gute Frauenfreundschaften sind und ich stelle zum wiederholten Mal fest, dass mir eine solche Freundschaft fehlt.


Nach dem Workshop gehen wir zum Abendessen. Es gibt Kartoffelpüree, eine Scheibe Baguette, ein Stückchen Käse und eine Nektarine. Zum satt werden reicht es nicht, aber man kann auf einer Pilgerfahrt ja durchaus auch mal fasten.


Um 20:30 Uhr beginnt das Abendgebet in der Kapelle. An den Eingängen stehen Menschen mit Desinfektionsmittelspendern und Schildern auf denen "Silence" steht. Die Schilder begegnen mir in der Kapelle nochmal. Tatsächlich scheinen sich alle daran zu halten und es ist sehr ruhig.

Das Abendgebet besteht aus Gesang, einer Textlesung aus der Bibel und Gebeten. Alles mehrsprachig. Ich erkenne französisch, englisch, niederländisch, italienisch, etwas osteuropäisches und natürlich deutsch. Für alle ist irgendwie etwas dabei. Ich bin beeindruckt davon, dass Menschen unterschiedlichster Herkunft und Sprache hier gemeinsam Gottesdienst feiern.

Es gibt kein festes Ende und jede*r darf selbst entscheiden wann er/sie geht.

Ich bleibe lange sitzen und genieße die Atmosphäre.

Als ich endlich beschließe zu gehen, werde ich schon an der Tür erwartet. Alle anderen warten bereits auf mich.

Ich fühle mich schlecht und frage ob ich überhört habe wann wir uns treffen wollten.

Der Reiseleiter beruhigt mich und meint, dass es sich zufällig so ergeben hat.

Es tut mir trotzdem leid und gleichzeitig wäre ich am liebsten die ganze Nacht da geblieben.


Naja, wir kommen ja morgen wieder.

Heute fahren wir erstmal zurück zu unserem Haus und ich gehe sofort ins Bett.

Es war ein schöner, aber auch anstrengender Tag. 

 

Samstag, 4. September 2021:

Es ist 05:45 Uhr. Wie jeden Morgen werde ich von Gerumpel geweckt. Ich bin gespannt was der Mann im Zimmer über mir heute wieder macht. Aber es ist nicht der Mann, sondern Yuliya, die gerade unsere Zimmertür öffnet um duschen zu gehen.

Warum darf ich denn nie länger schlafen?

 

Bereits um 07:30 Uhr und ohne Frühstück fahren wir nach Taizé. Dort nehmen wir am Morgengebet teil und bekommen anschließend Frühstück. Wobei Frühstück vielleicht etwas übertrieben ist. 

Jede*r bekommt ein Brötchen, ein Stück Butter und zwei Riegel Zartbitterschokolade. Einfach so auf die Hand. Tabletts gibt es nur für alte Menschen, wird uns erklärt.

Außerdem bekommen wir wieder eine Schale, aus der getrunken wird. Was wir trinken, müssen wir allerdings erst herausfinden. Auf einem Tisch stehen 5 große Eimer, die mit verschiedenen Pulvern gefüllt sind und in denen je ein Esslöffel steckt. Ich entdecke etwas, das wie Kakaopulver aussieht und schütte zwei Esslöffel voll in meine Schale. Am nächsten Tisch bemerke ich, dass es nur heißes Wasser gibt. Also gehe ich noch mal zurück und löffel auch noch Milchpulver in meine Schale, in der sich das Kakaopulver langsam im Wasser auflöst.

Als ich dann endlich mit meiner vollen Schale in der einen und Brötchen, Butter und Schokolade in der anderen Hand an einem Stuhl ankomme, stellt sich das nächste Problem. Wie bekomme ich die Einzelteile meines Frühstücks zusammen?

Ich reiße das Brötchen mit den Händen auf und verstreiche anschließend die Butter mit Hilfe eines Schokoladenstücks. Die Schokoladenstücke passen fast genau ins Brötchen und so habe ich endlich ein interessantes Frühstück. 

 

Während die anderen nach dem Frühstück zur Bibelarbeit mit einem Mönch gehen, führe ich ein langes Gespräch mit einem anderen Teilnehmer unserer Gruppe. Es ist unglaublich was für großartige Gespräche ich hier mit Menschen führe, die ich erst vor 3 Tagen kennengelernt habe.

 

Um 12:20 Uhr gehen wir zum Mittagsgebet und bekommen anschließend Mittagessen. Es gibt Ebli mit Erbsen und Zucchini vermengt und dazu eine Banane und zwei Plätzchen. Ich bin froh, dass wir nur einen Tag hier sind und nicht eine ganze Woche.

 

Um 14:00 Uhr brechen wir zu unserer dritten und letzten Etappe auf.

Es ist eine schöne Strecke, erst über Asphaltstraßen und dann ca 1,5km über einen Waldweg bergauf. Das ist landschaftlich zwar schön, aber sehr anstrengend. 

Als wir nach einer gefühlten Ewigkeit endlich oben ankommen, endet der Weg an einem Feld. Offensichtlich haben wir uns verlaufen. 

Ich habe kurz Angst, dass der ganze Aufstieg umsonst war, aber unser Reiseleiter entscheidet, dass wir am Feldrand entlang gehen und so kommen wir tatsächlich nach etwa 200m wieder auf den richtigen Weg.

Und was für ein Weg!

Er ist so schmal, dass wir alle hintereinander laufen müssen und liegt voller Geröll. Ich muss mich auf jeden Schritt konzentrieren um nicht versehentlich umzuknicken.

Dafür ist das was wir hören wunderschön. Bei jedem Schritt klappern und klingen die Steine, ähnlich als würde jemand Xylophon spielen. 


Der weitere Weg führt hauptsächlich bergab und ist überwiegend asphaltiert. Ich dachte, der Aufstieg wäre anstrengend gewesen, aber der Abstieg auf asphaltierten Straßen ist noch viel anstrengender. Ich sehe in Gedanken schon meine blutigen Zehen. Dem Schmerz nach zu urteilen sind die Außenseiten meiner Zehen bereits bis auf die Knochen aufgescheuert.

Tatsächlich war es glücklicherweise nicht so, aber weh tat es trotzdem.


Als wir an einer winzigen Kapelle vorbei kommen, machen wir eine Pause.

Ich bin schon jetzt völlig am Ende, aber wir haben erst die Hälfte der Strecke geschafft.


Irgendwie schaffe ich es dann doch bis ans Ziel. Ich möchte mich nur noch hinsetzen, aber die anderen möchten sich die Stadt angucken. Yuliya schafft es tatsächlich mich zu motivieren und so schlendern wir zu viert durch das Städtchen.

Es gibt hübsche kleine Läden und Cafés.

Vor allem aber gibt es jede Menge Läden mit süßen, kleinen Köstlichkeiten.

Ich kaufe nichts. Mich überfordert diese riesige Auswahl.


Als es schließlich Zeit ist zum Treffpunkt zurückzukehren, verlaufen wir uns ein wenig. Zum Glück kommen wir trotzdem noch rechtzeitig an.


Einige fahren noch in den Supermarkt, um die letzten Einkäufe zu erledigen. Ich fahre mit und kaufe Macarons und Eclairs für meine Familie.


Als wir wieder im Haus ankommen, haben schon einige andere ein großartiges Abendessen gekocht.

Wir essen und sitzen anschließend noch gemütlich zusammen auf der Terasse. Immerhin ist es der letzte Abend und den wollen wir noch ausgiebig genießen.


Irgendwann beschließt jemand, dass jeder einen Liedwunsch äußern darf und so hören wir an diesem Abend Lieder, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Von Queen über Ed Sheeran bis Roland Kaiser ist alles dabei.

Es wird sogar geschunkelt.


Um kurz nach Mitternacht falle ich müde ins Bett.


Sonntag, 5. September 2021: 

Ich werde vom klingeln und vibrieren eines Weckers geweckt. Yuliya greift verschlafen nach ihrem Smartphone. Die Geräusche verändern sich nicht. Der Wecker klingelt im Zimmer neben uns.

Wenigstens ist es schon 7:00 Uhr und wir müssen ohnehin aufstehen.


Nachdem wir unsere Sachen gepackt haben, treffen wir uns alle im Wohnzimmer.

Dort singen wir noch zwei Lieder und lesen einen Bibeltext.

Anschließend darf jede*r erzählen wie sie/er die letzten Tage empfunden hat. Alle sind sich einig, dass es eine bereichernde Zeit mit großartigen Menschen war. Alle haben sich wohlgefühlt.

Nun frühstücken wir ein letztes Mal gemeinsam und treten gegen 11:00 Uhr die Heimreise an.


Die Rückfahrt ist sehr anstrengend, da es unerträglich heiß ist und wir in unserem Auto keine Klimaanlage haben.

Doch auch diese Fahrt endet irgendwann und gegen 19:45 Uhr sind wir wieder am Haupthaus unseres Trägers angekommen.


Wir verabschieden uns mit herzlichen Umarmungen und hoffen, dass wir mit einigen im Kontakt bleiben.


Für mich war es eine wunderbare Zeit und eine großartige Erfahrung!